Seit ich öffentlich schreibe - und das ist noch nicht besonders lange her - frage ich mich vor allem drei Dinge:
Was habe ich Lesenswertes zu sagen?
Wer sollte die Mengen an täglichem Textoutput überhaupt lesen wollen?
Und weshalb ausgerechnet das Zeug von mir?
Es ist ja nicht so, als ob sich das Lesen gerade allgemein großer Beliebtheit erfreut - vor allem nicht, seit wir uns im Alltag mehr im Cyberspace als in der Gutenberg-Galaxie bewegen. Zum Lesen nehme ich mir Zeit. Und benötige Aufmerksamkeit.
Und ehrlich - wer hat die schon?
Regelmäßig vernehme ich öffentliches Klagen darüber, wie schlecht es doch um die Lese- und Schreibkompetenzen des Nachwuchses ausgerechnet im Land der Dichter und Denker bestellt sei. Wobei zeitgleich vermittelt wird, dass es im richtigen Leben nicht aufs Dichten und Denken ankommt.
Also wozu dieser Blog?
Scroll weiter!
Ich schreibe hier nicht über Schreibtipps und SEO-Optimierung von Webseiten für den Erfolg. Und nicht über Content-Marketing.
Ich schreibe auch nicht darüber, wieso ich glaube, dass das KI-Web künftig aus noch weniger Inhalt besteht als sowieso schon.
Ich schreibe vielmehr aufgrund meiner Schreib- und Lese-Schwäche. Und damit meine ich keine Legasthenie im klassischen Sinne, sondern vielmehr meine Schwäche fürs Schreiben und Lesen.
Die nämlich schwindet allmählich dahin. Ich habe selbst inzwischen nur wenig Lust so viel zu lesen. Das Internet und Soziale Medien haben meine durchschnittliche Informationsverweildauer deutlich verkürzt. Das liegt an vielem und ich denke, auch daran:
Die Medien sind schuld!
Alles, was nicht unmittelbar eingängig und einfach zu verstehen erscheint, fliegt nämlich in Windeseile in die hinteren, verstaubten Ecken der Rezipientengunst. Und wird - vom Algo vergessen - schnell wie einfach unsichtbar.
Snackable Content lautet daher die marketingtechnische Losung der Stunde. Hauptsache zugänglich, schnell konsumierbar und direkt auf die emotionale Zwölf. So wird der Mediennutzer umworben, beschmeichelt und von wo auch immer "abgeholt."
Ich warte nicht länger!
Dazu habe ich keine Lust. Ich habe bisher zwar ausschließlich auf LinkedIn eigenes Zeug veröffentlicht, finde aber die Content-Form etwas zu einengend und trotz Storytelling-Postulat eher weniger informativ und unterhaltsam.
Vom Umgang mit Faktischem will ich gar nicht erst anfangen.
Ich denke, wir leben in einer Phase, in der es eigentlich viel zu sagen, zu denken und zu schreiben gibt. Aber wohin damit?
Social-Media-Content ist weniger fürs Gründeln und Tiefergehen gemacht als die es die meisten Inhalte es eigentlich erfordern. Und was eignet sich fürs nonchalant dahinfließende Grübeln besser als die Worte zu Sinneinheiten verbindende Textform?
Meine Zielgruppe gibt es nicht.
Als Auftragstiller erledige ich meine Schreibaufträge natürlich gewissenhaft und kümmere mich sorgfältig um die Zielpersonen.
Doch schreibe ich mit Vorliebe eben auch über Dinge, die nicht unmittelbar einleuchtend und schnell erledigt sind.
Meine Texte sind voller unnötiger Füllwörter, wenn es für mich so stimmig klingt. Sie sind eigentlich nie ganz fertig.
Eher Momentaufzeichnungen und Spuren aus Daten, Material und dessen Auswertung. Ein Formulierungsprozess.
Texte sind für mich eine mögliche Ausdrucksform unter vielen anderen.
Lesen und Schreiben Kulturtechnologien, die sich nicht auf Bücher und lineare Zeichenfolgen beschränken.
Für mich gilt: alles ist Code. Was ich mache, bezeichne ich als:
Wildes Schreiben
Klingt waghalsig. War aber bloß der Titel eines der Seminare, welches ich während meines Studiums in den 90ern besuchte und das mir eine neue Sichtweise auf mein eigenes Er-Arbeiten ermöglichte. Es ging dabei um verschiedene künstlerische und philosophische Konzepte des Schreibens. Um Bedeutungen und Funktionen des Schreibens und den Begriff des Autors.
Es behandelte Dinge wie Graffiti, Écriture automatique und andere "freie Formen", sich in Wort und Text auszudrücken. Und wurde voll mein Ding. Ich bezeichne meinen Stil von diesem Standpunkt aus als "Authentifiction" und erweitere mein Schreiben auf alle möglichen Formen. Auf Medien wie Körper. Auf Bilder und Gesten. Auf meine Vorstellung von mir selbst und anderer.
Ich erschreibt sich Welt jedes Mal neu und anders.
Ich ist ein Autor
Schnell wurde damit klar: Wissenschaftliches Schreiben ist nicht meine Form. Ich werde keine Philosophin im akademischen Sinne abgeben können. Mein persönliches Studienhighlight war ein Videofilm, den ich als Parodie auf damals populäre TV-Trash-Formate geschrieben hatte, in denen Geheimnisse hinter Schattenwänden und mit verfremdeter Stimme der Fernsehnation bekannt gemacht wurden. Mein Skript handelte vom inneren Zwang, Klosprüche zu schreiben.
Ich aber habe immer nur gelesen und nie selbst was hinterlassen, auf keiner Klowand, auf keiner Fassade und auf keinem Zug.
Ich hatte einfach nichts zu sagen.
Das Schweigen-Dilemma*
In den langen Jahren der skribierenden Enthaltsamkeit wurde es mir indes niemals langweilig, mir genau zu überlegen, was ich denn schreiben wollen würde, wenn nicht alles schon so oft gesagt und wiederholt worden wäre.
Und damals - es waren die 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts - gab es noch gar keine Soziale Medien und Content-Marketing in heutiger Form und Verständnis.
Mir fiel nichts Konkretes ein. Vieles war gesagt, vieles banal, vieles remix. Das, was mich besonders interessierte und beschäftigte, war im Entstehen begriffen. Ein Raunen und Rauschen. Dinge, die sich erst abzeichneten.
Mein Denken ist utopisches Denken, das von der Wirklichkeit eingeholt wird.
Ich versuchte mein Möglichstes, um mir Reime darauf zu machen, was diese Dinge bedeuten. Zu verstehen und zu erklären, ob und wie sich diese Phänomene begreifen und einordnen lassen.
Aber wie es sagen und schreiben, wie formulieren? Es passte nicht in die Form eines Buchs, ging in keinem Text zufriedenstellend auf, es konnte nicht erzählt werden - zumindest nicht von mir. Also fiel ich wieder ins Schweigen.
(* Das Schweigen-Dilemma ist der Name einer Band, den ich mir mit freundlicher Genehmigung der Autoren ausgeborgt habe.)
Und heute?
Texte mich nicht zu!
Bei mir ereignete sich das öffentlich Schreiben durch Lesen auf LinkedIn und kurz vorher Twitter. Ich bin also nicht so lange sichtbar aktiv.
Und bin dabei, mein Schreiben erst einmal zu entwickeln. Und das jenseits von LinkedIn-Content - unabhängiger von Sozialen Medien - hier in diesem Blog.
Ich schreibe und hoffe auf Lesende zu treffen, die Lust auf meine Texte und meine andere Formen des Schreibens haben.
Ich ist ein Autor. Und das hier mein Raum für Literatur.
Seltsam, aber so steht es geschrieben.
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